Gegenöffentlichkeit, 2014

Foto: Bernhard und Michael Grzimek bei den Dreharbeiten zum Film Kein Platz für wilde Tiere, 1956 (Foto: OKAPIA); Textbild: Foto: Kamera (Foto: PublicDomainPhotos)

Vom 15. – 23. November 2014 fand im Hamburger Metropolis-Kino das »XI. cinefest. Internationales Festival des deutschen Film-Erbes« statt (www.cinefest.de). Organisiert wurde es von CineGraph Hamburg und dem Bundesarchiv, diesmal zusammen mit dem DFG-Forschungsprojekt zur Geschichte des dokumentarischen Films nach 1945. Es war das erste Mal, dass sich dieses renommierte filmhistorische Festival ausführlich mit dem Dokumentarfilm beschäftigte.

Gegenöffentlichkeit als Festival- und wissenschaftliches Thema

Der Begriff der Gegenöffentlichkeit wurde dabei bewusst breit gewählt von neuen dokumentarischen Formen wie dem Direct Cinema in den 1960er Jahren, über die Protest- und Videobewegungen der 1970er und 1980er Jahre, subversiven Spuren beim DEFA-Dokfilm bis hin zu aktuellen Dokumentarfilmen. Zu zahlreichen Filmen waren die Regisseure oder Experten angereist, die sich nach der Vorführung der Diskussion stellten (z.B. Claudia von Alemann, Christian Bau, Niels Bolbrinker, Gerd Conradt, Lutz Dammbeck, Didi Danquart, Bernhard Eisenschütz, Dusan Hanák, Rolf Schübel, Thomas Tode, Andres Veiel, Klaus Wildenhahn). Es war eine der ersten Veranstaltungen, die sich diesem Thema widmeten und stieß beim Publikum auf großes Interesse. Es kamen viele, die damals aktiv waren in Videogruppen, Medienwerkstätten oder alternativen Filmverleihen. Mit den Filmen und den Gästen wurde die Atmosphäre dieser politischen Umbruchzeiten sehr lebendig. Viele Filme begleiteten die Protestbewegungen ob nun gegen Atomkraft, für Frieden und die Emanzipation der Frauen oder den Häuserkampf in den Städten und Mietwucher. Dieses Engagement prägte die Gesellschaft und hat einiges verändert. Nach einer Phase der Entpolitisierung wächst inzwischen wieder ein kritisches Potential bei den ‚Wutbürgern‘.

In einer Sondervorführung zeigte Oscar Preisträger Kevin Brownlow den 1964 veröffentlichten Spielfilm „It happend here“, den er zusammen mit Andrew Mollo im jugendlichen Alter gedreht hatte. Er zeigt darin die Utopie, was passiert wäre, wenn die Deutschen im Zweiten Weltkrieg Großbritannien erobert hätten. Er kuratierte zusätzlich eine kleine Filmreihe zum Thema Kriegs-Spiele.

27. Filmhistorischen Kongress, »Gegen?Öffentlichkeit!«

Begleitet wurde das cinefest vom 27. Filmhistorischen Kongress, der das Thema »Gegen?Öffentlichkeit!« noch einmal theoretisch vertiefte und um Themen ergänzte, die in der Retrospektive nicht oder nur am Rande behandelt wurden wie der aktuelle Videoaktivismus, die Emanzipation der Frauen oder die schwul-lesbische Filmbewegung. Ein besonderer Schwerpunkt war die alternative Medienszene in Hamburg, die auf dem Festival auch in einer Podiumsdiskussion mit Filmbeispielen erörtert wurde. Es zeigte sich, dass doch einige Filme der Alternativen Unterstützung durch das öffentlich-rechtliche Fernsehen erhielten und regulär im Programm ausgestrahlt wurden. Die Ergebnisse des Kongresses werden im Herbst 2015 in dem Buch »Protest Film Bewegung. Neue Wege im Dokumentarischen« in der edition text+kritik veröffentlicht.

Zur Kongress-Eröffnung wurde der britische Filmhistoriker Horst Claus mit dem Reinhold-Schünzel-Preis ausgezeichnet für seine langjährigen Verdienste um die Pflege und Verbreitung des deutschen Film-Erbes. Als beste Buchveröffentlichung wurde „Walter Ruttmann and the Cinema of Multiplicity“ von Michael J. Cowan (Amsterdam University Press) mit dem Willy-Haas-Preis ausgezeichnet. Über den Preis als beste DVD-Veröffentlichung konnte sich Ralf Schenk freuen für die von ihm herausgegebene DVD-Box »Studio H&S. Walter Heynowski und Walter Scheumann: Filme 1964-1989«, die bei absolut medien erschienen ist.

Begleitende Ausstellung in Wiesbaden, Zürich und Wien

Als Rahmenprogramm der Veranstaltung fand außerdem eine Begleitausstellung in den Bücherhallen Hamburg statt. Zur ihrer Eröffnung diskutierte Hans-Michael Bock (CineGraph) mit dem Regisseur Rolf Schübel und dem Kameramann Rudolf Körösi über frühe politische Filme und die technischen Bedingungen beim Drehen mit 16 mm-Kamera. Die Ausstellung war vom 22. April bis 14. Juni 2015 in der Murnau-Stiftung Wiesbaden im Deutschen Filmhaus zu sehen.

Auf zwei Foren diskutierten Experten zum einen die Filmvermittlung durch Ausstellungen im musealen Bereich und zum anderen den Filmschnitt im Dokumentarfilm. Dabei zeigte sich, dass die Digitalisierung die Montage wesentlich verändert und beschleunigt hat und gerade im Fernsehbereich nur sehr wenig Zeit bleibt für die hohe Kunst des Schnitts. Zum cinefest erschien ein ausführlicher Katalog mit einigen Überblicksartikeln und der zeitgenössischen Rezeption der Filme.

Ausgewählte Filme des cinefest Programms tourten in den vergangenen Monaten durch verschiedene Städte wie Berlin, Prag und im Moment Wiesbaden. Es werden noch Wien und Zürich folgen. Der Katalog enthält zudem eine DVD mit den Filmen »Rote Fahnen sieht man besser« (D 1971, R: Theo Gallehr, Rolf Schübel), »Upper Clyde Shipbuilders/ UCS 1« (GB 1971, R: Cinema Action), »Wäscherinnen« (DDR 1972, R: Jürgen Böttcher), »Thedebadfilm« (D 1985, R: Jürgen Mainusch, Christian Bau), dem »Eiffe-Spot« (D 1993) und dem cinefest Trailer 2014.

 

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